Zum wiederholten Male zeigt sich, dass in diesem Land nur ein Staatsorgan bereit ist, die Freiheit der Bürger zu schützen. Das Bundesverfassungsgericht urteilte heute, dass die Vorratsdatenspeicherung in ihrer jetzigen Form gegen das Grundgesetz verstößt. Die Piratenpartei begrüßt dieses Urteil ausdrücklich und hofft, dass mit dieser Schelte die etablierten Parteien sowie die Bundesregierung endlich lernen, dass Bürgerrechte ein unveräußerliches Gut sind.
»Das Urteil ist eine schallende Ohrfeige für die bürgerrechtsfeindliche Gesetzgebung der letzten Jahre«, so Jens Seipenbusch, Vorstandsvorsitzender der Piratenpartei. »Unser Etappenziel ist gemeinsam mit unseren Verbündeten erreicht. Jetzt gilt es, den Schwung auf europäischer Ebene zu nutzen, um die zugrundeliegende EU-Richtlinie für unrechtmäßig zu erklären, damit die Vorratsdatenspeicherung nicht über diesen Umweg eingeführt werden kann. Das Urteil zeigt, dass die Piratenpartei dringend benötigt wird: als Gegenpol zu den etablierten Parteien im Kampf um die Bürgerrechte. Das wird sich sicher auch bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zeigen.«
»Die Bürgerrechte sind Abwehrrechte gegen einen überbordernden Staat, die über Jahrhunderte erarbeitet wurden,« so Nico Kern, Rechtsanwalt und Spitzenkandidat der Piraten in NRW bei der kommenden Landtagswahl. »Wir Piraten werden weiterhin dafür kämpfen, dass die Bürgerrechte in Deutschland und Europa endlich wieder die Achtung bekommen, die sie verdienen.«
Im Jahr 2007 wurde das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Damit wurde eine Direktive der Europäischen Union umgesetzt. Seitdem wurden Verbindungsdaten der gesamten Bevölkerung gespeichert, die über Telefon, Handy und E-Mail entstanden sind. So war es möglich, Bewegungsprofile zu erstellen und die Beziehungen von Menschen untereinander nachzuvollziehen. Es wurde mehrfach nachgewiesen, dass das Gesetz deutliche Auswirkungen auf das Kommunikationsverhalten der Bürger hat. Die Menschen passten sich der Öberwachung an und vermieden es, Kontakt zu Personen aufzunehmen, die sie in Verruf bringen könnten. Dazu zählten zum Beispiel Drogenberatungsstellen oder Psychotherapeuten.
Update:
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts kann nur auf den ersten Blick als Sieg für die Bürgerrechte gelten. Bei genauerer Betrachtung hat das Gericht – wie schon in vorangegangenen Urteilen – hauptsächlich die handwerkliche Leistung des Gesetzgebers kritisiert.
Der Verfassungsbeschwerden wurde formal zugestimmt, das bisher geltende Gesetz wurde damit gekippt. Die bereits gespeicherten Daten bei den Telekommunikationsanbietern müssen gelöscht werden. Die Piratenpartei begrüßt diese Entwicklung ausdrücklich. Sie ist eine Kritik an der aktuellen Praxis, die sich im Gesetzgebungsverfahren eingeschlichen hat.
Weniger deutlich als angekündigt ist allerdings die Aussage zur Gültigkeit der EU-Richtlinie und deren Zukunft. Das Bundesverfassungsgericht hat diese nicht bewertet, weil die betrachteten Gesetze deutlich über die Mindestanforderung der Richtlinie hinausgegangen sind.
Das Bundesverfassungsgericht hat die grundsätzliche Zulässigkeit einer vorsorglichen Datenspeicherung ohne Anlass und auf Vorrat bestätigt. Dem Gesetzgeber wurden eine Reihe von Einschränkungen mit auf den Weg gegeben – aber das Gericht lässt auch noch einen großen Handlungsspielraum. Und das obwohl die Verbindungsdaten in Strafprozessen von beschränkter Beweiskraft sind und allenfalls als Anlass für weitere Ermittlungen taugen.
Die Piraten begrüßen den hohen Stellenwert, den das Bundesverfassungsgericht dem Schutz der sensiblen Daten gibt. Die bei privaten Unternehmen gespeicherten Daten sind allerdings so sensibel und umfangreich, dass sie kaum auf eine ökonomisch sinnvolle Art und Weise langfristig sicher zu speichern sind. In der Konsequenz heißt dies, dass die Vorratsdatenspeicherung, wenn sie nicht verhindert werden kann, noch ungleich teurer für die Provider werden wird. Ein echtes Plädoyer für Datenschutz wäre Datensparsamkeit und -vermeidung, nicht teure Durchführungsverordnungen. Die Piratenpartei erwartet hier von den Branchenverbänden, die ja auch Beschwerdeführer sind, ein wesentlich kritischeres Statement.
Selbst bei weniger schwerwiegenden Vergehen räumt das Bundesverfassungsgericht bei einem potentiell neuen Gesetz die Möglichkeit ein, mit den gesammelten Daten die Identität der Anschlussinhaber zu ermitteln. Dies ist eine Gefahr für die Demokratie, die auch von anonymen, flüchtigen Unterhaltungen lebt. Meinungsfreiheit ist das Recht, die eigene Meinung ohne Angst vor Konsequenzen äußern zu können und dies ist häufig zur Vermeidung von abkühlenden Effekten nur unter dem Schutz der Anonymität möglich.
Die Piraten sehen die Notwendigkeit einer Auskunftspflicht, welche Daten über jeden Bürger gespeichert werden, sonst tritt wieder einmal ein Fall ein, in dem der gläserne Bürger geschaffen werden soll – der Staat aber nicht genügend Transparenz für die informationelle Selbstbestimmung seiner Bürger anbietet.
Es ist zwar ein großer Erfolg für die Piratenpartei, dass dieses Gesetz für nichtig erklärt wurde, aber die Begründung ist nicht weitgehend genug. Das Thema muss noch stärker politisch angepackt werden. Dies ist ein weiterer Grund für Piraten in den Parlamenten. Der erhebliche Spielraum bei der Ausgestaltung eines neuen Gesetzes darf auf keinen Fall genutzt werden. Und letzten Endes können die Piraten auch dank der starken internationalen Vernetzung auf europäischer Ebene tätig werden: Die EU-Richtlinie muss weg!
Quellen:
http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg10-011.html
http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20100302_1bvr025608.html