Offene Demokratie will gelernt sein

Gastbeitrag von Andreas Popp
Die Debatte um die Bebauung des Gießereigeländes hat in Ingolstadt viel Staub aufgewirbelt und dabei hat sich nicht jeder mit Ruhm bekleckert. Völlig abseits der eigentlichen Sachfrage, haben einige Amt- und Würdenträger ein ziemlich naives Demokratieverständnis an den Tag gelegt, was sogar vom Ministerpräsidenten gerügt wird. Was war geschehen?
Eigentlich war es ein ganz normaler kommunalpolitischer Prozess. Ein Grundstück sollte  bebaut werden und so ging das Projekt seinen langen Weg durch die Instanzen. Auf den letzten Metern wird schließlich Kritik laut, von der Stadtratsopposition und einer Bürgerinitiative. Eine große lokale Tageszeitung berichtet ausführlich über ebendiese Kritik. Die Stadtoberen bügeln die Kritik ab, der Prozess sei schon viel zu weit fortgeschritten. Vier Tage vor dem engültigen Beschluss, gibt es eine Onlinepetition, die mit 662 Unterstützern eine Vertagung des Beschlusses erbittet. Das Ersuchen wird abgeschmettert, die Bebauung beschlossen.
 
An allen Stellen ist hier einiges schiefgelaufen. Warum kam der Protest erst so spät und das obwohl der ganze Prozess sich über Jahre hinzog? Es konnte doch jeder zu jedem Zeitpunkt der Planung Einwände erheben, ist ein oft zu hörendes Argument. Aber fragen wir uns doch mal ehrlich: Wer kann das wirklich? Zwar sind alle relevanten Stadtratssitzungen öffentlich, aber nicht jeder kann wochentags um drei Uhr nachmittags mal eben schnell drei Stunden ins Rathaus und einer Sitzung lauschen. Da muss man sich nicht wundern, dass die Zuschauerbänke leer bleiben.
Und die Protokolle, die im Ratsinformationssystem der Stadt zu finden sind, bestehen aus kryptischen Zahlenkombinationen und Hinweisen wie, dass der Ausschuss XY ebendiese kryptische Zahlenkombination zur Kenntnis nimmt. Eine Recherche nach dem Wort »Gießereigelände« im Ratsinformatiossystem fördert als frühesten Treffer den Beschluss des Ausschuss für Stadtentwicklung vom 31.01.2012 zutage, der besagt, dass für den Bebauungsplan 214A der Aufstellungsbeschluss gefasst wird. Wer wusste damals schon das sich dahinter der Kongresshotel-Baukoloss verbirgt und wer weiß wirklich was genau ein Aufstellungsbeschluss ist?
Sicher hätte die Stadtratsopposition – allen voran die Grünen, die zum Schluss am lautesten Kritik äußerten – hier früher im Bilde sein müssen. Aber eine Handvoll Stadträte hat auch nur begrenzte Ressourcen und sachliche Kritik, auf die man nur mit fachlich geschultem Auge stößt, kommt da nicht immer aus der Pistole geschossen. Auf jeden Fall ist es zu kurz geschlossen die Kritik aus der Bürgerschaft einfach einem schwachen Moment der Stadtratsopposition anzulasten.
Weiter wurden Vorwürfe laut, der Donaukurier hätte die Kritik am Bauvorhaben mit seinen Berichten hochgespielt. Aber ist es nicht genau das die Funktion der Presse, beiden Seiten einer Diskussion Öffentlichkeit zu verschaffen? Ein Kritiker muss seine Argumente öffentlich darlegen können, damit es überhaupt einen öffentlichen Diskurs gibt.
Dann war da noch die Petition, die um eine Vertagung des Beschlusses bat. Hier war es IFG-Vorstand Herbert Lorenz, der massive Lücken im Wissen um unser demokratisches System aufzeigte. Zuerst sagte er zu RadioIN:Die Abstimmung befinde sich im rechtsfreien Raum« und in der Stadtratssitzung hielt er schließlich einen minutenlangen Monolog über all die bürokratischen Zwänge, die eine Vertagung des Beschlusses unmöglich machten und dass es ja nicht mal ein Prozent der Ingolstädter seien, die diese Petition gezeichnet haben.
Die Petition befindet sich alles andere als im rechtsfreien Raum. Artikel 17 des Grundgesetzes besagt: »Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.« Das Petitionsrecht ist also ein Grundrecht, dass jedem Menschen zusteht und zwar wirklich jedem, völlig unabhängig von Alter, Staatsangehörigkeit oder Wohnort. 5000 besorgte Ingolstädter haben dieses Recht genauso wie ein einzelner Australier, der das neue Schloss zuletzt bei seinem Urlaub vor zehn Jahren gesehen hat.
Und eine Petition ist keine Abstimmung, es ist eine Eingabe an das jeweilige Staatsorgan. Hier ist Köpfezählen zweitrangig. Auch wenn der Stadtrat im Gegensatz zu den Landtagen und dem Bundestag kein formalisiertes Petitionsprocedere hat, ist er verpflichtet die Eingabe zu behandeln. Natürlich heißt das nicht, dass er ihr Folge leisten muss, darum geht es bei einer Petition auch gar nicht. Aber er kann sie auch nicht einfach ignorieren, er muss sich damit beschäftigen, was der Stadtrat durch die Behandlung des Vertagungsantrags der Grünen auch gemacht hat, selbst wenn es eine Ablehnung war.
Schließlich mahnte Ministerpräsident Seehofer den Stadtrat, nicht von oben herab zu regieren. Auch wenn Seehofer sich hier dem Populismus hingibt – denn mit dem Regieren von oben herab hat die Staatsregierung sonst keine Probleme – ist auch diese Kritik sicher angebracht. Spätestens ein CSU-Fraktionsvorsitzender der behauptet, das Verfahren sei transparent, die Kritiker unsachlich angreift und allen ernstes die beleidigte Leberwurst spielt, weil er nicht persönlich zum Termin der Bürgerinitiative eingeladen wurde, zeigt, dass hier doch einiges im Argen liegt. Besonders die übermäßige Betonung der demokratischen Legitimation des Stadtrats, erinnert doch sehr stark an den gescheiterten baden-württembergischen Ministerpräsidenten Mappus. Weder die sachliche Kritik der Bürgerinitiative »5 vor 12«, noch die Petition waren ein Angriff auf die Legitimation des Stadtrats, ganz im Gegenteil. Wer solche Kritik hier äußert, sagt eigentlich nichts aus, außer »Wir regieren jetzt hier und nicht ihr!«
Abschließend kann man sagen, dass der Demokratie oberflächlich zumindest genüge getan wurde. Vielleicht sind die Bürger, die das Bauprojekt kritisieren eine Minderheit. Das lässt sich nicht so einfach sagen, denn man neigt sehr schnell dazu sich in der vermeintlichen Mehrheit zu sehen, wenn man sich hauptsächlich mit gleichgesinnten umgibt (siehe »Stuttgart 21«). Ein Lehrstück für eine moderne, transparente Demokratie, die den Bürger in die Prozesse miteinbindet, sieht aber sicher ganz anders aus, als das Trauerspiel um das Kongresshotel am Gießereigelände.

Kommentare

3 Kommentare zu Offene Demokratie will gelernt sein

  1. Christian Lange schrieb am

    Herzlichen Glückwunsch zu diesem Gastbeitrag. Sehr sachlich geschrieben und genau den Punkt getroffen. Ich wünsche mir, dass die Ingolstädter Politiker das alle lesen!

  2. petra kleine schrieb am

    Hallo Andreas,
    es gab bereits bei der Aufstellung des Rahmenplans Bedenken und Kritik – vom Stadtheimatpfeger, von Bürgern, auch von uns. Dazu hieß es: Rahmenplan ist rechtlich unverbindlich, Änderungen sind noch möglich, erst der Bebauungsplan wird konkret. Hier hätte man natürlich bereits dagegen stimmen können: sähre heute besser aus, hätte nichts in der Sache geändert. DENN: das eigentliche Problem ist das Dialogverfahren gewesen, das bei der Investroensuche eingesetzt wurde. Im Dialog mit den Investoren-Bewerbern, wurden die Weichen sozusagen „in eine ander eRichtung“ gestellt, ohne das Bürgerbeteiligung möglich ist. Die Zwischenberichte aus diesem Dialogverfahren wurden gegeben, doch immer so: wie viele Investoren hat man, wann gehts weiter. Also nie wieder so ein Dialogverfahren, das kann man demokratisch und sachlich nicht im Griff haben/beurteilen. Erst als der Bebauungsplan aufgestellt wurde, gab es erste konkrete Hinweise wie das nun aussehen wird (im ersten Protokoll (Anfang Febr.) dazu haben wir dazu übrigens die gleiche Meinung geäußert, wie am Schluss des Verfahrens am 24. Mai. 2012 )
    Also ganz wichtig sind die Vergabe- Verhandlungs- Dialogverfahren – hierüber wird einiges vorfestgelegt ohne Beteiligungsmöglichkeit – das auch eine Lernerfahrung daraus.
    Beste Grüße
    Petra

  3. Pingback: News aus dem Kreisverband Ingolstadt – Juni 2012 | Piratenpartei Ingolstadt

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